Familiäre Hypercholesterinämie
Eine familiäre Hypercholesterinämie (FH) tritt häufiger auf als vermutet: Einem europäischen Konsensus-Papier zufolge liegt die Prävalenz einer FH je nach Population bei 1:200 – 1:500 (Tendenz zu 1:217 in der Allgemeinbevölkerung).1,2 Trotzdem wird in den meisten Ländern – darunter auch Deutschland – bei 90-99 % der Betroffenen die FH nicht diagnostiziert.2 Diese Patienten leben mit einem permanent erhöhten kardiovaskulären Risiko.
Die häufigste vererbte Stoffwechselstörung
Die FH ist eine autosomal-kodominant vererbte Störung des Fettstoffwechsels, der Mutationen im Gen des Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin (LDL)-Rezeptors (Prävalenz 85-90 %3), des Apo-B 100 Proteins oder des PCSK9 Proteins zu Grunde liegen. Bis heute sind allein über 1.000 spezifische Mutationen des LDL-Rezeptor-Gens bekannt, die alle dazu führen, dass LDL nur in eingeschränktem Maße aus dem Blutkreislauf entfernt werden kann.4 Bei einem vollständigen Funktionsverlust des Proteins wird von einer "loss of function" Mutation gesprochen.
Heterozygote FHDie meisten Betroffenen haben eine heterozygote FH (heFH), bei der die Aktivität der LDL-Rezeptoren um etwa 50 % vermindert ist. Die Prävalenz einer heFH liegt nach jüngsten Untersuchungen zwischen 1:200 und 1:500.1 Die LDL-Spiegel bei diesen Patienten liegen typischerweise bei 190-450 mg/dl (4,9-11,6 mmol/l).3 |
Homozygote FHSehr selten ist die homozygote Form der Erkrankung (hoFH, Prävalenz 1:300.000 bis 1.000.000). Hier liegt ein Defekt auf beiden Allelen vor, so dass u. U. keine funktionsfähigen Rezeptoren vorhanden sind. Die Betroffenen können einen LDL-Wert von 400 mg/dl bis > 1000 mg/dl (10,3 bis > 25,7 mmol/l) aufweisen.3 |
Klinische Symptome einer familiären Hypercholesterinämie
Zu den klinischen Anzeichen einer FH zählen äußerlich sichtbare Cholesterinablagerungen (Xanthome), vor allem in der Haut und in den Sehnen. Diese Symptome treten allerdings nicht bei allen Patienten auf. Typisch sind zum Beispiel:
- Tendinöse Xanthome der Fingerstreck- und Achillessehnen
- Noch häufiger, aber weniger spezifisch, sind Cholesterinablagerungen im Bereich der Augenlider (Xanthelasmen) und die Entwicklung einer ringförmigen, weißlichen Trübung der Hornhautperipherie (Arcus lipoides corneae, sog. Greisenbogen) vor dem 45. Lebensjahr.3
- Charakteristisch ist auch eine frühzeitige und/oder beschleunigte Arteriosklerose.5
Verbesserte Prognose durch Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie
Bei Patienten mit einem LDL-Wert > 190 mg/dl (> 4,9 mmol/l), bei Kindern unter 16 Jahren mit einem LDL-Wert > 155 mg/dl (> 4 mmol/l), sollte an eine FH gedacht werden.
|
Tendinöse Xanthome (äußerlich sichtbare Cholesterinablagerungen) oder ein Arcus corneae im Alter unter 45 Jahren machen eine FH noch wahrscheinlicher. |
Positive Familienanamnese, das heißt Familienangehörige ersten Grades mit LDL-Wert > 190 mg/dl (> 4,9 mmol/l) oder vorzeitiger KHK (koronarer Herzerkrankung) (Frauen < 60 Jahre, Männer < 55 Jahre) oder mit Xanthomen. |
Anhand dieser drei Kriterien kann die Diagnose FH in der Regel klinisch gestellt werden.3
Zur Sicherung der Diagnose ist der molekularbiologische Nachweis des zugrundeliegenden Gendefekts zu erwägen.
Die Dutch Lipid Clinic Network Kriterien haben sich zur Diagnostik der FH etabliert. Diese Kriterien können in fünf Gruppen eingeteilt werden, welche den familiären Hintergrund, die persönliche Krankengeschichte, körperliche Untersuchung, LDL-Werte und genetische Testergebnisse der Patienten umfassen. Jedes Kriterium wird mit einer bestimmten Punktzahl bewertet. Anhand der Gesamtpunktzahl kann dann die Wahrscheinlichkeit, dass eine FH vorliegt, abgeschätzt werden.3
FH-Diagnosekriterien gemäß Dutch Lipid Clinic Network
FH-Diagnose in der PraxisBasierend auf den FH-Diagnosesystematiken hat sich für die Praxis folgendes Vorgehen bewährt:
Basis der Diagnostik ist die Bestimmung des LDL-Wertes. Bei einem LDL-Wert >190 mg/dl (> 4,9 mmol/l) muss an eine FH gedacht werden und bei Kindern unter 16 Jahren ab einem LDL-Wert > 155 mg/dl (> 4,0 mm/l). Das zusätzliche Vorliegen tendiniöser Xanthome oder einer Arcus corneae im Alter von unter 45 Jahren machen eine FH noch wahrscheinlicher. |
Therapie der FH
Bei Patienten mit FH führt eine lebenslang gesteigerte LDL-Exposition zu einer frühzeitigen Atheroskleroseentwicklung. FH-Patienten sollten aufgrund dieses hohen Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen frühzeitig erkannt und intensiv behandelt werden. Die LDL-Zielwerte liegen bei < 100 mg/dl (< 2,6 mmol/l), bei FH-Patienten mit manifester KHK bei < 70 mg/dl (< 1,8 mmol/l).2 Diese Zielwerte werden allerdings unter den bisher verfügbaren Therapiemöglichkeiten nur selten erreicht.6 In einer Analyse von 1.250 heFH-Patienten wurde das Therapieziel eines LDL-Wertes <100 mg/dl (< 2,6 mmol/l) nur bei etwa jedem Fünften erreicht.7
- Medikamente der ersten Wahl sind Statine. Empfohlen wird der Einsatz der potentesten Statine in der für den Patienten verträglichen höchsten zugelassenen Dosis. Bei Patienten mit FH werden durch eine Monotherapie mit Statinen die LDL-Zielwerte oft nicht erreicht.3
- Als Kombinationstherapie mit Statinen kommen bislang der Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib und Anionenaustauscher (Gallensäurekomplexbildner) wie Colesevelam und Colestyramin in Frage. Bei vielen Patienten senkt auch die Kombinationstherapie den LDL-Wert allerdings nicht bis auf den gewünschten Zielwert.
- Nur für Patienten mit hoFH ist der MTP (mikrosomales Triglyzerid-Transfer-Protein)-Hemmer Lomitapid zugelassen.
Mehr zum Thema Statin-Intoleranz Mehr zur Lipoprotein-Apherese: Blutwäsche als Ultima Ratio
FH-Patienten
Die heterozygote Familiäre Hypercholesterinämie ist eine Erbkrankheit. Die Betroffenen haben genetisch bedingt sehr hohe Werte des schädlichen LDL-Cholesterin (LDL) im Blut. Die hohen Cholesterinwerte können zu schweren Folgekrankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Erfahren Sie mehr über die Erkrankung von dem Betroffenen Wolfgang.
Das Wichtigste in Kürze
|
Letzte Aktualisierung: 30.05.2018